"
Maria und das Wort"
Das marianische Dokument des GK 2013

Identität einer Beziehung.


Mose hört das Wort Gottes
und nimmt es an (koptische Ikone).

Die Beziehung zwischen Maria und dem Wort beruht auf einer Identität, die aus der Heilserfahrung des Volkes Israel herangewachsen ist. Das Mariendokument betrachtet ausgewählte Persönlichkeiten der Heilsgeschichte und deren Haltung in Bezug auf das Wort, das sie in verschiedenen Lebenssituationen berührt, herausfordert und motiviert. Es wird an die Grundausrichtung der Heilsgeschichte erinnert, die das Leben als ihr Ziel sieht. Die Berufung und Sendung des biblischen Volkes besteht somit darin, nicht den Tod, sondern das Geschenk des Lebens zu bevorzugen und zu fördern. Auf dem Weg der Beziehungsbildung mit dem Wort wird zuerst Abraham in Betracht gezogen. Von ihm wird das Wort als eine "Segensverheißung" vernommen, die sich in einem "Land" und in einem "Volk" konkretisieren soll. Diese Verheißung soll Hoffnung spenden; nicht nur ihm, sondern auch den "Verfluchten",  deren Leben auf verschiedenste Weisen benachteiligt ist. Eine andere Persönlichkeit, die mit dem Wort konfrontiert wird, ist Mose. Für ihn erklingt das Wort als eine Aufforderung: Er soll das auserwählte Volk aus der Sklaverei in die Freiheit führen. Also weg vom Tod und näher zum qualitativ besseren Leben. Dieses wird nach dem Exodus im verheißenen Land für das Volk erfahrbar. Nachdem das soziale Wohl des Volkes gesichert ist, macht sich das Wort in einer neuen Dimension erkennbar.

Mit Samuel tritt das Wort in die Geschichte der Israeliten als prophetische Kraft ein. Das Volk gewinnt an Selbstbewusstsein und beginnt sich monarchisch zu strukturieren. In diesem Prozess lässt das Wort den irdischen König jedoch als eine Übergangsfigur erkennen, als eine Symbolgestalt des kommenden Messias Gottes, und lenkt den Blick der Menschen vom Äußerlichen zum Verborgenen hin: "Sieh nicht auf sein Aussehen und seine stattliche Gestalt, denn ich habe ihn verworfen; Gott sieht nämlich nicht auf das, worauf der Mensch sieht. Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz" (1 Sam 16, 7b-c). Mit dem Hinweis auf das Herz wird die Brücke zum Geist Gottes geschlagen. Er soll nun durch sein Wirken in den Herzen die menschlichen Strukturen wie das Land, das Volk, die Freiheit, das Gesetz qualitativ in Orte des Segens verwandeln, die sie ja sein sollten.

Das Servitendokument nennt dann einige Propheten, die in diesem Sinne das Volk aufrüttelten, damit sein Herz nicht aufhört auf das Wort Gottes zu hören. In dieser Sendung der Propheten zeichnet sich gleichzeitig auch das Gesicht der gesuchten Identität, die selbst die Beziehung Mariens zum Wort prägt, und die als "Hinhören" bezeichnet werden kann. Von diesem Identitätshintergrund her gesehen ist es nicht außergewöhnlich, dass Maria die Botschaft Gottes vernahm und sie auch zustimmend beantwortete. Ähnlich wie Abraham im fremden Land und ohne Nachkommen, fühlt sich auch Maria mit den Benachteiligten ihres Stammes solidarisch verbunden: Sie lebt in einem unbedeutenden Ort in Galiläa und im unfruchtbaren Haus Davids, das vergeblich auf den verheißenen Messias wartet. Wenn nun Maria als die angedachte Mutter des Messias angesprochen wird, so will ihre Frage "Wie soll es geschehen?" nicht nur die Art ihres Mutterwerdens, sondern auch das Wesen des zu gebärenden Messias beleuchtet wissen. Nämlich, aufgrund der Erfahrung ihres Volkes über die Zweideutigkeit der messianischen Hoffnung, soll für Maria klar erkennbar sein, von welchem Messias und von welchem Messianismus die Rede ist. Ihr Hinhören ist nicht nur oberflächlich, sondern es ist ein Hinhören mit dem Herzen, das auch mögliche Konsequenzen im Blick hat. Ihre Jungfräulichkeit erscheint hier als der Wunsch, in der Wahrheit zu bleiben und sich nicht zu einem Werkzeug einer falschen Hoffnung zu machen, die ein Werk der Menschen und nicht Gottes ist. Und diese Jungfräulichkeit kann der Geist Gottes fruchtbar machen. Der Geist kann eine so verstandene Jungfräulichkeit mütterlich machen, deren Frucht dem ganzen Volk zugutekommt. Aus der Identität des Hinhörens entwickelt sich bei Maria eine Identität des Dialogs, die das Hinhören voraussetzt. Der Glaube Mariens ist nicht losgelöst vom innerlichen Nachdenken über das Geschehen um ihren Sohn. Das Mariendokument der Serviten weist in diesem Zusammenhang noch einmal auf das Herz hin, wo die Begegnung mit dem Wort und der Dialog mit dem Geist stattfinden: Das Wort sucht das Herz, reinigt es, erforscht es, kennt es, erwählt es, macht es weich, erleuchtet es, macht es sanftmütig, leitet es und macht es zur ständigen Wohnstatt Gottes.

fr. Fero M. Bachorík OSM